Planungen der Landesregierung zu aktuellen energie- und klimapolitischen Herausforderungen

Rede von

Wirtschaftsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart

36. Sitzung des Landtags
11. Oktober 2018, 10:00 Uhr
Landtag Nordrhein-Westfalen, Plenum

– Es gilt das gesprochene Wort –


Sehr geehrter Herr Präsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

I.

Die NRW-Koalition ist angetreten, Gegensätze zu überwinden und Ökonomie und Ökologie miteinander in Einklang zu bringen. Unser Ziel ist es, Nordrhein-Westfalen bis spätestens 2030 zum innovativsten, leistungsstärksten und klimafreundlichsten Industriestandort weltweit zu machen!

Die NRW-Koalition hat sich in ihrer Koalitionsvereinbarung klar zum Klimaschutzabkommen von Paris und dem Ziel bekannt, dass die Welt in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts weitgehend treibhausgasneutral wirtschaften soll.

Das im Klimaschutzgesetz NRW für 2020 vorgegebene Minderungsziel für Treibhausgasemissionen in Höhe von 25% gegenüber 1990 werden wir nicht nur einhalten. Wir werden es übererfüllen.

Zur Erreichung der Klimaziele bedarf es auch – aber nicht nur – einer Wende in der Energieerzeugung. Die Energiesysteme der Zukunft sind dabei so zu gestalten, dass sie die Faktoren Bezahlbarkeit, Versorgungssicherheit und Klimaverträglichkeit gleichrangig berücksichtigen und langfristig in Einklang bringen.

Dies ist angesichts der komplexen energiewirtschaftlichen Wirkungszusammenhänge eine anspruchsvolle Aufgabe.

Diese Aufgabe kann und wird gelingen, wenn wir sie offensiv aber sachlich und mit klarem Verstand und Weitsicht angehen. Die Gestaltung der Energiesysteme der Zukunft erfordert Entscheidungen mit strukturellen und langfristigen Auswirkungen nicht nur für die Energiewirtschaft, sondern auch für die energieintensiven Industrien und ihre Beschäftigten sowie für unsere Gesellschaft insgesamt.

Diese Aufgabe ist deshalb nicht geeignet für politische Kurzsätze nach dem Motto: „Raus aus der Kohle, rein in die Erneuerbaren Energien, es wird schon irgendwie klappen.“ Mit solchen pauschalen und unterkomplexen Aussagen mag man kurzfristig politischen Zuspruch bekommen. Der Sache helfen sie nicht weiter.

Wir wollen – auch vor dem Hintergrund der Arbeit der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ – für ein Gelingen der Energiewende sorgen, die die Belange der nordrhein-westfälischen Wirtschaft, ihrer Beschäftigten und der Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen berücksichtigt. Wir brauchen eine verlässliche Perspektive für alle Beteiligten.

II.

Die Energiewirtschaft selbst und die mit ihr direkt und indirekt verbundenen Zuliefererbranchen sind ein wichtiger Wirtschafts- und Beschäftigungsfaktor. Das ist jedoch nicht alles.

Eine zuverlässige und stabile Energieversorgung ist auch für Nordrhein-Westfalen insgesamt von existentieller Bedeutung. Unsere heimische Wirtschaft ist wie in kaum einem anderen Bundesland auf eine sichere und bezahlbare Energieversorgung angewiesen. Nur so kann sich Nordrhein-Westfalen als Industriestandort weiterentwickeln und Wertschöpfung und hunderttausende hochwertige Arbeitsplätze erhalten. Allein die Unternehmen in den weitgehend energieintensiven Branchen Papier, Glas, Chemie, Kunststoff, Mineralöl und Metallerzeugung beschäftigen in Nordrhein-Westfalen mehr als eine viertel Million Menschen. Das sind sehr gute Arbeitsplätze mit ordentlichen Tarifverträgen und Einkommen für die Menschen. Hinzu kommen zahlreiche Arbeitsplätze bei Zulieferern im Investitionsgüterbereich wie dem Maschinenbau und bei unternehmensnahen Dienstleistern wie Güterverkehr, IT, Leasing oder Forschung und Entwicklung, die auch in Nordrhein-Westfalen vielfach ohne die energieintensive Industrie nicht denkbar wären. Um diese wirtschaftliche Kraft zu erhalten, benötigen wir auch in Zukunft eine leistungsstarke und hochinnovative Energieerzeugung.

Wie lange die Kohleverstromung noch als Brücke benötigt wird, darüber berät derzeit die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“. Diese Ergebnisse wollen wir abwarten. Die Landesregierung steht in diesem Prozess dafür ein, die Klimaziele nicht gegen die Wirtschaft auszuspielen. Wir können und wollen die Klimaziele nur zusammen mit einer starken und modernen Wirtschaft erreichen und nicht auf Kosten einer Deindustrialisierung unseres Landes.

III.

Vor welchen energiewirtschaftlichen Herausforderungen uns die Energiewende stellt, zeigt u.a. ein Blick in die „Quartalsberichte zu Netz- und Sicherungsmaßnahmen“ der Bundesnetzagentur. Im Jahr 2012 waren Redispatchmaßnahmen im deutschen Übertragungsnetz in einem Umfang von 4.956 GWh erforderlich, um die Netzstabilität zu gewährleisten. Im Jahr 2017 waren bereits Redispatchmaßnahmen in Höhe von 20.439 GWh nötig. Dies bedeutet eine Vervierfachung des Eingriffsvolumens innerhalb von fünf Jahren. Hinzu kamen in 2017 Maßnahmen zur Abregelung erneuerbarer Energieträger (Einspeisemanagement-Maßnahmen) im Umfang von 5.518 GWh.

Die Kosten des Redispatch- und Einspeisemanagement beliefen sich in 2017 auf ca. 1,4 Mrd. EUR gegenüber rund 880 Mio. EUR in 2016. Es wird davon ausgegangen, dass die Kosten für Netzeingriffe bis 2025 auf 4 Mrd. EUR pro Jahr ansteigen werden. Insbesondere nach 2023 werden durch den wachsenden Einsatz Erneuerbarer Energien und die Abschaltung von Kernkraft- und konventionellen Kraftwerken erheblich mehr Netzeingriffe erforderlich.

Die Zunahme netzstabilisierender Maßnahmen verdeutlicht, dass die Zuverlässigkeit unseres Energiesystems zunehmend auf die Probe gestellt wird. Veränderungen im Verhältnis von erneuerbaren zu konventionellen Erzeugungskapazitäten führen dazu, dass sich auch das Verhältnis volatiler Kapazitäten (aus erneuerbaren Energie) zu grundlastfähigen Kapazitäten (aus konventioneller Energieerzeugung) verändert.

Da weder der Netzausbau noch die Entwicklung leistungsfähiger Speichertechnologien mit dieser Entwicklung Schritt halten, hat diese Verschiebung massive Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit. Verschärfen wird sich diese Situation in den kommenden Jahren durch den beschlossenen Kernenergieausstieg, mit dem bis Ende 2022 weitere rund 10 Gigawatt gesicherte Kraftwerksleistung nicht mehr zur Verfügung stehen.

Über Jahrzehnte haben wir die Netzstabilität als gegeben ansehen können. Netzstabilität ist und bleibt ein unerlässlicher Faktor für den dauerhaften Erfolg unseres Wirtschaftsstandortes. Diesen Standortfaktor dürfen wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen:

Die Digitalisierung liefert uns einerseits neue Antworten zur Lösung dieser Flexibilitätsanforderungen, andererseits werden die Ansprüche an die Versorgungssicherheit und Netzstabilität durch die Digitalisierung erheblich steigen.

Es wäre fahrlässig, eine Reduzierung des Niveaus der Versorgungssicherheit hinzunehmen und gleichzeitig über die Weiterentwicklung von Digitalisierung, Industrie 4.0, das Internet der Dinge, vernetzte Mobilität oder Cyber-Sicherheit zu sprechen. Deutschland kann nicht digital werden wollen, aber gleichzeitig seine Stromversorgung schwächen.

IV.

Um Kohlekraftwerke schneller vom Netz nehmen zu können wird gerne angeführt, dass Deutschland genügend Strom produziere und sogar exportiere. Verschwiegen wird hingegen, dass zwar die Bruttostromleistung aus Windenergie und Photovoltaik für einen Stromüberschuss sorgen, dieser Strom beim deutschen Verbraucher aber nicht verlässlich ankommt. Erstens wegen Wetterabhängigkeit, zweitens wegen fehlender Übertragungsnetze. Die Erneuerbaren Energien (inkl. Biomasse und Wasserkraft) tragen damit nach wie vor einen mit etwa 10 Prozent geringen Anteil zur gesicherten Leistung bei.

Je nach Ausstiegsszenario aus der Kohleverstromung würde Deutschland als größtes Industrieland Europas zum Stromimporteur. Ihre Rolle als dann einzige Netto-Stromexporteure in Europa würden ausbauen: Polen und Frankreich. Das eine Land produziert 90 Prozent seines Stroms aus Kohle, das andere Land 75 Prozent seines Stroms aus Atomkraft. Wir würden in Deutschland nicht nur Atomkraft, sondern auch Kohle aufgeben, um beides in den Nachbarländern in schlechterer Qualität für Sicherheit und Umwelt zu fördern und dafür auch noch teuer zu bezahlen.

V.

Wir können und wollen die Energiewende positiv und zukunftsgerichtet gestalten. Dazu müssen wir die Energiewende vom Kopf auf die Füße stellen und sie mit einem verlässlichen Plan unterlegen, wie wir bis wann aus den konventionellen Energien aussteigen können.

Dieser Ausstieg ist aus Klimaschutzgründen und wegen der Endlichkeit der Ressourcen unzweifelhaft notwendig, aber er muss bezahlbar sein und darf die Versorgungssicherheit nicht in Frage stellen. Entscheidend ist dabei die Verbindung zum Emissionshandel, denn nur wenn es zu einer Zertifikatestilllegung parallel zum Abschalten emissionshandels-pflichtiger Anlagen kommt, werden auch tatsächlich Emissionen eingespart, alles andere wäre auch hier reine Augenwischerei.

Für eine Neujustierung der Energiewende benötigen wir ein ganzes Maßnahmenbündel, dass die derzeit losen Enden der Energiewende sinnvoll zusammenführt. Hierzu erarbeitet die Landesregierung derzeit, gemeinsam mit Industrie, Energiewirtschaft, Verbänden und Gewerkschaften eine Energieversorgungsstrategie. Aus Sicht der Landesregierung müssen u.a. die folgenden wichtigen Aspekte berücksichtigt werden:

  • Schnellerer Ausbau der Strom- und Gasnetze für den Transport des Ökostroms zum Verbraucher und Synchronisation mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien – dies reduziert auch die stark gestiegenen Kosten.
  • Erhalt der Versorgungssicherheit durch eine Verlagerung der Energieerzeugung auf Gaskraftwerke, die u.a. auf bestehenden Kohlekraftwerksstandorten in Nordrhein-Westfalen entstehen und die längerfristig auf synthetisches Gas aus erneuerbaren Quellen umgestellt werden können.
  • Stärkere Anreize für eine Sektorenkopplung und Belegung der Sektoren, die nicht dem EU-weiten Emissionshandel unterliegen, mit einem CO2-Preis, der Teile der bisherigen Steuern und Abgaben ablöst.
  • Die Förderung dezentraler urbaner Energielösungen aus Photovoltaik, Geothermie, KWK und Elektromobilität; hier hat Nordrhein-Westfalen aufgrund seiner Siedlungsstruktur große Potentiale.
  • Schaffung von angemessenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für gesicherte Leistung und Förderung einer marktorientierten Flexibilisierung bei Angebot und Nachfrage.
  • Reduzierung von Steuern und Abgaben auf Strom und die anteilige Finanzierung der EEG-Umlage aus dem Bundeshaushalt, nicht zuletzt für eine sozial gerechtere Kostenverteilung.

Diese wichtigen Maßnahmen sind entscheidende Voraussetzungen für eine schnellere Reduzierung der Kohleverstromung und könnten das Fundament für einen Neustart der Energiewende bilden, der Deutschland wieder zu einem Vorbild in der Welt werden lässt. Das waren wir einmal. Inzwischen schaut das Ausland kopfschüttelnd auf die Ineffizienz der deutschen Energiepolitik. Das müssen wir ändern.

Die rot-grüne Vorgängerregierung hat den Ausstieg aus der Braunkohle für die Zeit nach 2045 vorgesehen. Das ginge schneller – aber nur, wenn die zuvor beschriebenen Maßnahmen zur Neujustierung der Energiewende schneller und verlässlich umgesetzt und die Frage des Strukturwandels in der Region konkret und nachhaltig beantwortet wird.

Nur wenn Deutschland es schafft, die Energiewende so weiterzuentwickeln, dass sie den Wohlstand sichert und der Umwelt dient, wird es dafür auch weltweit Nachahmer geben.

Zu diesen Aufgaben gehört die Förderung der Transformation in der Industrie, die Forschung und Entwicklung und der in die Zukunft gerichtete Strukturwandel in den Regionen. Die Landesregierung arbeitet daran, diese Voraussetzungen zu schaffen und setzt gezielte Maßnahmen und Initiativen um.

Der Schlüssel dafür sind Innovation und Investitionen, für beides schaffen wir in Nordrhein-Westfalen wieder bessere Rahmenbedingungen, etwa indem wir die Zeiten für die Genehmigung modernerer und klimafreundlicherer industrieller Anlagen halbieren.

VI.

Die Menschen in Nordrhein-Westfalen sind bereit, den Weg der Energiewende mitzugehen. Diese Akzeptanz gilt es zu erhalten.

Der aktuelle Bericht des Bundesrechnungshofes belegt, was jeder Bundesbürger leistet, um den Atomstrom und konventionelle Energieträger durch Erneuerbare Energien zu ersetzen. 160 Milliarden Euro hat die Energiewende bislang gekostet, einen Großteil haben die Verbraucher direkt bezahlt. Allein im vergangenen Jahr waren es 24 Milliarden Euro über die EEG-Umlage, hinzu kamen weitere Umlagen über den Strompreis.

Im Ergebnis attestiert der Bundesrechnungshof der Energiewende aber, dass zwei der drei Grundpfeiler einer verantwortungsvollen Energiepolitik brüchig sind: Bezahlbarkeit und Klimaschutz. Einerseits hat Deutschland mit die höchsten Strompreise weltweit, was zunehmend zu einer sozialen Frage wird. Gerade die einkommensschwachen Haushalte und der Mittelstand leiden am meisten unter der Verteuerung. Andererseits verbessert sich die CO2-Bilanz bei weitem nicht so stark wie eigentlich notwendig. Doch damit nicht genug. Mit der Forderung nach einem übereilten Kohleausstieg gerät nun auch der dritte Grundpfeiler einer klugen Energiepolitik ins Wanken: die Versorgungssicherheit.

In seinem Bericht vom 28. September 2018 stellt der Bundesrechnungshof fest: „Trotz des erheblichen Einsatzes von Personal und Finanzmitteln erreicht Deutschland die Ziele bei der Umsetzung der Energiewende bisher überwiegend nicht.“

Und weiter heißt es: „Aus Sicht des Bundesrechnungshofes sind entscheidende Verbesserungen bei der Koordination und Steuerung der Energiewende unumgänglich. Die Bundesregierung bleibt zum Handeln aufgefordert. Anderenfalls könnte in der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, Deutschland sei nicht imstande, die gesamtgesellschaftlich und langfristig angelegte Energiewende erfolgreich zu gestalten und umzusetzen.“

VII.

In den vergangenen Monaten ist immer wieder die Leitentscheidung der rot-grünen Landesregierung zur Zukunft des Rheinischen Reviers aus dem Jahr 2016 angesprochen worden. Man muss anerkennen, dass die gerade einmal zwei Jahre zurückliegende Leitentscheidung von einem energiewirtschaftlichen Realismus geprägt war.

Die von SPD und Bündnis90/Die Grünen beschlossene Leitentscheidung vom 5. Juli 2016 basierte auf der Bedeutung der Braunkohleverstromung für Versorgungssicherheit und Preisstabilität und berücksichtigt bereits den zukünftigen Rückgang der Braunkohleverstromung. Die damalige Landesregierung hat in der Leitentscheidung zur Verkleinerung des Tagebaus Garzweiler II u.a. festgestellt, dass, ich zitiere „der Braunkohlenabbau in den Tagebauen Garzweiler II, Hambach und Inden in Nordrhein-Westfalen bleibe zur langfristigen Energieversorgung weiter erforderlich ist.“

Im Rahmen der Erarbeitung der Leitentscheidung hat die Landesregierung ein Online-Beteiligungsverfahren durchgeführt. In diesem Verfahren ist bereits eine Schonung des Hambacher Forstes thematisiert worden. In der Abwägung hat sich die von den Grünen mitgetragene Landesregierung aber gegen diese Anregung entschieden: Der zurückgehende Bedarf an Braunkohle könne genutzt werden, um auf eine sonst noch notwendige Umsiedlung von Menschen zu verzichten. Dieses sei der schwerste mit dem Braunkohleabbau verbundene Eingriff. Der mit der damaligen Leitentscheidung ausdrücklich bestätigte Bedarf für Braunkohleabbau auch nach 2030 mache aber den Tagebau Hambach, in dem keine weiteren Umsiedlungen mehr erforderlich werden, in seinen unveränderten Abbaugrenzen erforderlich.

Mit Blick auf die Leitentscheidung der rot-grünen Landesregierung ist anzumerken, dass sie im selben Jahr erfolgte, in dem das Pariser Klimaabkommen geschlossen und der Bund mit dem Land eine Herausnahme von fünf Kohlekraftwerksblöcken vereinbarte, da die Bedrohung der nationalen Klimaziele für 2020 schon zu diesem Zeitpunkt vollumfänglich bekannt war.

VIII.

Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten eine Vermischung von Sachverhalten aus politischem Kalkül erlebt, die nicht miteinander vermischt werden dürfen. Während die WSB-Kommission über die mittel- bis langfristige Ausrichtung der Energieversorgung berät, geht es bei den Diskussionen um den Hambacher Forst um den Vollzug von bestehenden Abbaugenehmigungen auf der Grundlage der eben zitierten Leitentscheidung.

Hierzu hat das Oberverwaltungsgericht in der Hauptsache bisher nicht entschieden, sondern sich für die Entscheidung mehr Zeit erbeten. Diese Entscheidung respektieren wir selbstverständlich.

Gleichzeitig erwarten wir, dass die Demonstranten den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 14. September 2018 zur Vollziehung der Räumungsanordnung der Baumhäuser respektieren und angesichts der im Beschluss bestätigten „Gefahren für die Bewohner der Baumhäuser unter Gesichtspunkten des Brandschutzes und einer mangelnden Sicherung vor Stürzen in die Tiefe“ eine erneute Errichtung von Baumhäusern unterlassen.

Wir werden Rechtsbrüche auch künftig nicht akzeptieren, können den Ordnungsbehörden und Einsatzkräften aber auch nicht fortlaufend zumuten, die Bewohner der Baumhäuser vor sich selbst und das als besonders schutzwürdig vom BUND angemeldete Gebiet vor den Aktivisten zu schützen.

Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen und den Rettungskräften, den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten für ihren anspruchsvollen und besonnenen Einsatz im Zuge der Räumungsmaßnahmen zu danken.

IX.

Die Klimaschutzdebatte hat sich zuletzt sehr stark auf die Frage der Stromerzeugung verengt. Manchmal auch, weil die Energieerzeuger als bequemes Feindbild ausgemacht wurden. Diese Verengung verstellt jedoch den Blick auf einen breit angelegten und effizienten Klimaschutz.

Auch andere Sektoren müssen und können ihren Beitrag zur Erreichung der Klimaziele erbringen. Um etwa das Ziel einer treibhausgasneutralen Industrie zu erreichen, brauchen wir Forschung und Innovationen und deren wirtschaftliche Umsetzung in den Unternehmen. Diesen in unseren Augen zwingend notwendigen Transformationsprozess anzureizen und zu unterstützen, ist Ziel einer neuen Initiative, die ich vor wenigen Wochen vorgestellt habe und für den wir auf der jüngsten World Climate Conference in San Francisco viel Zuspruch gefunden haben:

Unter dem Namen IN4climate.NRW werden künftig Expertinnen und Experten aus Industrie, Wissenschaft und Verwaltung Strategien erarbeiten, wie die Industrie in Nordrhein-Westfalen ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten, zusätzliches Wachstum erzeugen und zur Erreichung der Pariser Klimaschutzziele beitragen kann.

Um das Pariser Übereinkommen zum Klimaschutz sowie die weitere Reduktion von Treibhausgasen umzusetzen und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu stärken werden wir noch dieses Jahr eine Energieforschungsoffensive NRW auflegen. Gemeinsam mit Wissenschaft und Wirtschaft wollen wir das Energieland Nordrhein-Westfalen zu einem international führenden Forschungsstandort ausbauen. Die Landesregierung stellt die nötigen Mittel bereit, um mit Forschung und Innovation einerseits wissenschaftliche Erkenntnisse und Ideen technologisch umzusetzen und andererseits gesellschaftliche Herausforderungen zu lösen. Unter dem Dach der Energieforschungsoffensive sollen die geförderten Projekte national wie international Akzente für die Energieforschung made in NRW setzen.

Ziel ist es, Nordrhein-Westfalen bis spätestens 2030 zum innovativsten, leistungsstärksten und klimafreundlichsten Industriestandort weltweit zu machen!

X.

Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ ist u.a. mit dem Ziel eingesetzt worden, einen Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung, einschließlich eines Abschlussdatums vorzulegen.

Die Kommission hat hierzu aber auch den Auftrag zur Schaffung einer konkreten Perspektive für neue, zukunftssichere Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen im Zusammenwirken zwischen Bund, Ländern, Kommunen und wirtschaftlichen Akteuren.

In den letzten Monaten haben wir in enger Abstimmung mit den regionalen Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik ein umfassendes Programm zur Entwicklung neuer Perspektiven für das Rheinische Revier entwickelt und der WSB-Kommission vorgelegt. Darüber hinaus haben wir eine Prioritätenliste für das Starter- und Langfristprogramm abgestimmt, das wir am Freitag [12. Oktober 2018] mit der WSB-Kommission besprechen.

An die traditionsreichen Stärken der Energiewirtschaft in unserem Land anzuknüpfen ist unsere größte Chance, damit wir auch an den neuen wachsenden Geschäftsfeldern in einem sich wandelnden Energiesystem teilhaben.

Die bestehenden Kraftwerke in Verbindung mit den energieintensiven Unternehmen bilden gemeinsam mit unseren Innovationskompetenzen die hohe Lagegunst des Rheinlands für das Erzeugen von Produkten, die wir nach der Energiewende mehr denn je brauchen: Ich spreche von dem Produkt „Versorgungssicherheit“, das neu konzipiert werden muss.

Denn es wird anspruchsvoller, kontinuierlich und zuverlässig Energie bereitzustellen. Wir setzen uns daher in Berlin u.a. dafür ein, dass als eines unserer Leitprojekte, das Reallabor „Wärmespeicher-Kraftwerk StoreToPower“ eingerichtet wird: Das Wärmespeicher-Kraftwerk soll an einem ehemaligen Kraftwerksstandort als Reallabor geschaffen werden. Dabei handelt es sich um einen Flüssigsalz-Wärmespeicher, der bis zu ein Gigawatt Wärme speichern soll. Er ist schwarzstartfähig und kann in einer sog. Dunkelflaute als Back-up-Kraftwerk dienen. Mit einem Gesamt-Systemwirkungsgrad von ca. 40 Prozent kommt das Speicher-Kraftwerk einem modernen Braunkohle-Kraftwerk mit einem Wirkungsgrad von 44 Prozent nahe. Durch die Entwicklung von Hochtemperatur-Wärmepumpen wären in Zukunft sogar Gesamt-Wirkungsgrade von bis zu 70 Prozent möglich.

Deswegen werden wir uns als weiteres Leitprojekt um die Ansiedlung eines DLR-Instituts für Hochtemperatur-Wärmepumpenbemühen: Die Hochtemperatur-Wärmepumpen werden zur Verbesserung des Wirkungsgrads für die Weiterentwicklung der Wärmespeicher-Kraftwerke benötigt. Darüber hinaus wird diese Technologie auch für die Wärmebereitstellung für die Industrie der Region und darüber hinaus gebraucht und ermöglicht die Befüllung von Fernwärmenetzen. Die RWTH Aachen verfügt mit dem Institut für Kraftwerkstechnik, Dampf- und Gasturbinen zudem über ausgewiesene Expertise in diesem Thema.

Neue Chancen brächte dem Rheinischen Revier auch die Ansiedlung einer Batteriezellproduktion: Wir bemühen uns um die Errichtung einer
4 GWh Produktionsanlage im Rheinland im Rahmen der European Battery Alliance. In einem zweiten Schritt soll eine large-scale-factory z.B. im Green Battery Park in Euskirchen aufgebaut werden. Ziel ist die Sicherung von Entwicklungs- und Produktions-Know how, die Unabhängigkeit von asiatischen Zell-Produzenten und die Versorgung kleiner und mittelständischer wie auch großer Abnehmer.

Vor dem Hintergrund des anstehenden Strukturwandels gewinnt der räumliche Transformationsprozess zusätzlich an Bedeutung. Hierzu planen wie eine internationale Bau- und Technologieausstellung Rheinisches Zukunftsrevier, die die Neuordnung des Raumes, die Weiterentwicklung ihrer Siedlungen als Orte der Zukunft in einem Mobilitätsrevier der Zukunft mit dem Anspruch verknüpft, wegweisende Schritte in eine innovative und klimafreundliche Zukunft mit hoher Lebensqualität zu gehen.

Um diese und andere Projekte – wie etwa die Errichtung eines Campus Rhein-Erft der TH Köln zu fachlichen Schwerpunkten der Transformation – zu realisieren, soll das Rheinische Revier als Sondergebiet ausgewiesen werden, um optimierte Flächenausweisungen und schnelle Genehmigungsverfahren zu realisieren und die notwendigen Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen schnell umsetzen zu können.

XI.

Wir stehen vor großen Herausforderungen in den kommenden Monaten und Jahren. Die Neujustierung der Energiewende aber auch die strukturpolitische Entwicklung der von der Reduzierung der Kohleverstromung betroffenen Regionen. Hier benötigen wir keine Symbolpolitik, sondern vernunftgeleitetes nachhaltiges Handeln.

Wir benötigen sachliche Debatten. Wir benötigen realistische aber mutige Lösungsansätze, die das immense innovative Potential unserer Unternehmen, unserer Hochschulen und Forschungseinrichtungen und insbesondere der Menschen in Nordrhein-Westfalen aufnehmen.

Dies sind wir den betroffenen Menschen in den Regionen schuldig.

Emotionen können helfen, einen Politikwechsel einzuleiten. Sie allein machen ihn aber noch nicht erfolgreich. Es ist das große Risiko einer Politik, die sich vom Pathos großer Emotionen tragen lässt: Löst sie ihre Versprechen nicht ein, ist die Enttäuschung derart groß, dass das emotionale Pendel heftig zur anderen Richtung ausschlägt. Es wäre ein Desaster für den Klimaschutz.

Die Energiewende braucht Erfolg.

Dringend!