Hambacher Forst nach OVG-Urteil

Rede von

Guido van den Berg MdL

zur Unterrichtung der Landesregierung:
Planungen der Landesregierung zu aktuellen energie- und klimapolitischen Herausforderungen
in Verbindung mit der Aktuelle Stunde:
„Gericht verhängt Rodungsstopp im Hambacher Wald – Landesregierung muss sich jetzt der politischen Verantwortung für das Rheinische Revier stellen“
auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN (Drucksache 17/3849)
in Verbindung mit:
Gesellschaftlichen Konsens zum Kohleausstieg ernst nehmen. Rodungsmoratorium und neue Leitentscheidung jetzt!“
auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN (Drucksache 17/3791)

am Mittwoch, den 10.10.2018
im Landtag von Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf
(in APr 17/36)

Guido van den Berg (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Professor Pinkwart; Herr Minister! Ich will als erstes Respekt zollen, weil Sie in Ihrem ersten Redebeitrag sehr deutlich gemacht haben, dass Sie die Leitentscheidung der Vorgängerregierung würdigen. Sie haben gesagt, sie sei von Realismus geprägt sowie rational und vernunftgeleitet gewesen.

(Zuruf und Beifall von Daniel Sieveke [CDU])

Ich will jetzt nicht wieder den Ball aufnehmen und hinterfragen, wer sich da vom Acker macht usw. Zur historischen Wahrheit gehört einiges dazu: Ich zitiere jetzt aus der „Aachener Zeitung“ vom 28.03.2014: „Diese Entscheidung der rot-grünen Landesregierung geht zulasten der letzten heimischen Energieträger und zulasten von Zehntausenden Arbeitsplätzen in NRW. – Wer hat das gesagt? Der Ministerpräsident. Wenn wir ehrlich miteinander umgehen, müssen wir an dieser Stelle einige Dinge richtigstellen, Herr Ministerpräsident.

Ich glaube, das tut auch not. Ich komme aus der Region. Diese Region will im Augenblick nur eines: Sie will wieder Frieden haben.

Das, was wir in den letzten Monaten dort erlebt haben – auch an Zerrbildern in der Öffentlichkeit, an falschen Darstellungen, an Simplifizierungen –, wird niemandem gerecht. Es wird den Beschäftigten in den Tagebauen und in den Kraftwerken nicht gerecht. Es wird in keiner Weise den Anwohnern oder Umsiedlern gerecht, die dort in den letzten Jahrzehnten etwas erlitten haben, das aber vielfach auch als Chance in ihrer Biografie begriffen haben. Es wird denjenigen nicht gerecht, die für den Wald werben. Es wird auch den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten nicht gerecht, die nicht Teil einer Partei oder eines Konflikts sein wollten, sondern sich schlicht und ergreifend um den Rechtsstaat kümmern wollten.

(Beifall von der SPD)

Das alles sind die Baustellen, die Wunden, die in dieser Region gerissen worden sind.
– Herr Löttgen, man kann hier sagen: Das alles liegt an der Symbolpolitik. In diesem Hohen Hause muss aber die Frage gestattet sein: Wie konnten diese Symbole entstehen? Natürlich ärgere ich mich auch über vereinfachte Darstellungen unseres ehemaligen Koalitionspartners, der Grünen, die so tun, als ob sie mit der Energiewende nichts zu tun hatten. Deshalb stellen sie heute einen Antrag, eine neue Leitentscheidung zu treffen, weil sie davon ablenken wollen, dass wir bei diesem Thema schon verantwortlich unterwegs waren.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)

Was mich genauso ärgert, Was mich genauso ärgert, ist, dass Sie, Herr Ministerpräsident, mit Ihrem Innenminister die Polizei in einen Einsatz in diesen Wald geschickt haben, der mit Baurecht und Brandschutz begründet war, obwohl jedes Kind in der Region wusste: Es geht darum, dass nachher gerodet wird und der Bagger kommt.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der SPD: So ist es!)

Das hat Vertrauen zerstört, meine Damen und Herren. Das hat ein Bild gezeichnet – das ist in der Öffentlichkeit breit diskutiert worden –, dass hier getrickst wird.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Der Begriff ist an dieser Stelle leider richtig. 

(Beifall von der SPD – Bodo Löttgen [CDU]:
Dann akzeptieren Sie das Urteil auch hinsichtlich …)

– Herr Löttgen, Sie wissen genau, dass ich Urteile eines OVG …

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

– Natürlich akzeptiere ich dieses Urteil. Aber das, was juristisch vielleicht geht, ist manchmal nicht ausreichend in einer politischen Diskussion, die wir brauchen, Herr Löttgen.

(Beifall von der SPD)

Es fehlt – das hat uns das Gericht doch aufgeschrieben – die energiepolitische Begründung. Diese Landesregierung hat Sondersitzungen über sich ergehen lassen und erklärt, das alles müsse nach Baurecht passieren. Auch bei den Richtern liegen die Zeitungen auf dem Frühstückstisch. Die wissen doch, dass es um mehr geht. Da ist das Zerrbild entstanden. Das ist das, was uns aufregt.

(Beifall von der SPD)

Mich treibt die Frage um: Wie kriegen wir den Frieden wieder hin? Wie wird diese Region versöhnt? Herr Ministerpräsident, zur Wahrheit gehört: Sie haben hier leider einen Beitrag geleistet, der mehr gespaltet als versöhnt hat. Das ist eines der Probleme, die wir haben.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Ministerpräsident Armin Laschet)

Sie haben sich leider hinter Vorgängerregierungen versteckt, obwohl wir alle wissen: Es geht auch um aktuelle Rahmenbetriebspläne.

(Zuruf von Ministerpräsident Armin Laschet)

Sie haben sich weiter versteckt und gesagt: Nicht meine Regierung ist betroffen, sondern das betrifft nur die Leitentscheidung.

(Zuruf von der SPD: Genau!)

Sie haben sogar so getan, als hätte RWE eine Niederlage eingesteckt. Es war diese Landesregierung. RWE war in dem Prozess nur beigeladen. Das Land Nordrhein- Westfalen ist unterlegen.

(Beifall von der SPD)

Deswegen stellt diese Region Fragen und möchte Antworten darauf. Was kostet der Stopp des Tagebaus Hambach? Wie werden die Arbeitsböschungen wieder zu standsicheren Hängen? Was ist mit drohenden Entlassungen? 4.600 Menschen in dieser Region haben Angst und Sorgen, sie möchten Antworten haben. Ich habe heute Morgen noch mit dem Betriebsratsvorsitzenden telefoniert. Da mögen Sie grinsen, Herr Ministerpräsident. Er hat Sorgen und Nöte. Da oben sitzt ein langjähriger Betriebsratsvorsitzender des Kraftwerks Niederaußem. Diese Menschen haben Sorgen und Nöte, um die man sich kümmern muss. Darauf erwarten wir Antworten.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Ministerpräsident Armin Laschet)

Was ist mit den Umsiedlern in Morschenich und Manheim? Was ist mit dem Geld der kommunalen Haushalte, das jetzt verbrannt ist, weil der RWE-Aktienkurs im Keller ist? Wie geht es mit den ungeplanten Rekultivierungen weiter? Was ist überhaupt alles machbar, wenn ein See an dieser Stelle möglicherweise gar nicht entstehen kann? Wer zahlt den ganzen Kram? Das sind die Punkte, zu denen wir Antworten verlangen. Das alles ist nicht Gegenstand der Regierungserklärung gewesen.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Deswegen sage ich: Wir erwarten mehr von dieser Regierung. Herr Pinkwart, ich nehme es positiv auf, dass Sie einige Punkte von uns aufgegriffen haben, aber wir haben noch viel mehr. Ich denke, wir werden das auch morgen in die Debatte einbringen.

Jetzt muss in dieser Region angepackt werden. Man darf sich nicht verstecken und warten, bis irgendetwas durch die Kohlekommission passiert, sondern man muss die Dinge selbst gestalten. Das ist die Tradition von Strukturwandel in Nordrhein- Westfalen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Ein kurzer Hinweis: Aufgrund der Redezeitüberziehung der Landesregierung bei der Unterrichtung bekommen alle Fraktionen drei Minuten Redezeit hinzu. Wir konnten das nur nicht in die Technik einspielen, sodass Ihnen das Ende Ihrer Redezeit angezeigt wurde. Ich mache es so wie immer, ich huste dann.

Guido van den Berg (SPD): Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar; denn ich war jetzt irritiert. Die drei Minuten will ich gerne noch nutzen, weil mir das Thema am Herzen liegt.

Herr Minister Pinkwart, Sie haben vorhin gesagt, wir hätten Übereinstimmung beim Thema der Fördermöglichkeiten. Für das Rheinische Revier muss etwas getan werden. Wir stimmen auch in der Frage überein, ob wir nicht thermische Speicherkraftwerke – auf Salztechnik oder anderer – nutzen können, um Kraftwerksblöcke zu übernehmen. Beim Thema „Batteriefabrik“ sind wir ebenfalls einer Meinung.

Aber es muss mehr passieren. Was ist mit Infrastruktur? Was ist mit Bildung? Wir brauchen einen Sonderverkehrswegeplan für das Rheinische Revier.

(Beifall von der SPD)

Wir brauchen eine Initiative, wie Fachhochschulen, Hochschulen ins Rheinische Revier kommen. Wir brauchen eine Initiative, die darauf aufbaut, das Know-how der Arbeitnehmer in der Elektrotechnik weiter auszubauen. Wir haben ein virtuelles Kraftwerk im Revier, das weiterentwickelt werden kann und Leittechnik für die erneuerbaren Netze der Zukunft transportieren kann.

Und wir wollen Pilotregion für Kohlenstoffkreislaufwirtschaft werden, Herr Minister Pinkwart. Wir haben in einer Enquetekommission zusammengearbeitet. Herr Rasche hat viele Initiativen auf den Weg gebracht. Ich glaube, es ist lohnenswert, was wir da machen. Ich sage ganz deutlich: Wir müssen auch Orte des Fortschritts sichtbar werden lassen. Was ist beispielsweise mit dem Brainergy-Park in Jülich? Davon habe ich nichts gehört. Was ist mit der :terra-nova-Klimahülle in Bergheim, den Faktor-X- Siedlungen in Inden, den smarten Stadtteilen in Grevenbroich oder Bedburg? Hier brauchen wir eine Landesregierung, die den Kommunen unter die Arme greift und uns hilft, Herr Ministerpräsident. Da erwarten wir Hilfe.

(Beifall von der SPD – Widerspruch von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wir brauchen vor allen Dingen mehr Flächen. Das haben Sie gesagt, aber wohlfeile Worte reichen an der Stelle nicht. Wir brauchen mehr, und zwar beschleunigt. Sie schlagen Änderungen für den Regionalplan vor.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Herr Pinkwart, der steht im Regierungsbezirk Köln roundabout erst für 2025 an. Dann haben wir noch kein Bauleitplanverfahren und kein B-Planverfahren. Das kommt zu spät.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD] –
Gegenruf von
Josef Hovenjürgen [CDU]:
Keine Ahnung! Unglaublich!)

Wir müssen da schneller werden und vor die Lage kommen.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Einen allerletzten Punkt will ich noch nennen; der ist mir wichtig. Zu dem, was im Augenblick stattfindet, was auch Herr Pofalla eingebracht hat – ein Deal mit RWE zum Kohleausstieg, zur Vergütung entgangener Förderung etc. –, sage ich für die Sozialdemokratie sehr deutlich: Was wir im Rheinischen Revier nicht brauchen, ist ein Deal mit den Konzernen. Was wir brauchen, ist ein Deal mit der Region und mit den Menschen vor Ort. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege van den Berg.