Rede von
Wirtschaftsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart
36. Sitzung des Landtags
11. Oktober 2018, 10:00 Uhr
Landtag Nordrhein-Westfalen, Plenum
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr
geehrter Herr Präsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
I.
Die NRW-Koalition ist angetreten, Gegensätze zu überwinden
und Ökonomie und Ökologie miteinander in Einklang zu bringen. Unser Ziel ist
es, Nordrhein-Westfalen bis spätestens 2030 zum innovativsten,
leistungsstärksten und klimafreundlichsten Industriestandort weltweit zu
machen!
Die NRW-Koalition hat sich in ihrer Koalitionsvereinbarung
klar zum Klimaschutzabkommen von Paris und dem Ziel bekannt, dass die Welt in
der zweiten Hälfte des Jahrhunderts weitgehend treibhausgasneutral wirtschaften
soll.
Das im Klimaschutzgesetz NRW für 2020 vorgegebene
Minderungsziel für Treibhausgasemissionen in Höhe von 25% gegenüber 1990 werden
wir nicht nur einhalten. Wir werden es übererfüllen.
Zur Erreichung der Klimaziele bedarf es auch – aber nicht
nur – einer Wende in der Energieerzeugung. Die Energiesysteme der Zukunft sind
dabei so zu gestalten, dass sie die Faktoren Bezahlbarkeit, Versorgungssicherheit
und Klimaverträglichkeit gleichrangig berücksichtigen und langfristig in
Einklang bringen.
Dies ist angesichts der komplexen energiewirtschaftlichen
Wirkungszusammenhänge eine anspruchsvolle Aufgabe.
Diese Aufgabe kann und wird gelingen, wenn wir sie offensiv
aber sachlich und mit klarem Verstand und Weitsicht angehen. Die Gestaltung der
Energiesysteme der Zukunft erfordert Entscheidungen mit strukturellen und
langfristigen Auswirkungen nicht nur für die Energiewirtschaft, sondern auch
für die energieintensiven Industrien und ihre Beschäftigten sowie für unsere
Gesellschaft insgesamt.
Diese Aufgabe ist deshalb nicht geeignet für politische
Kurzsätze nach dem Motto: „Raus aus der
Kohle, rein in die Erneuerbaren Energien, es wird schon irgendwie klappen.“
Mit solchen pauschalen und unterkomplexen Aussagen mag man kurzfristig
politischen Zuspruch bekommen. Der Sache helfen sie nicht weiter.
Wir wollen – auch vor dem Hintergrund der Arbeit der
Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ – für ein Gelingen der
Energiewende sorgen, die die Belange der nordrhein-westfälischen Wirtschaft,
ihrer Beschäftigten und der Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen
berücksichtigt. Wir brauchen eine verlässliche Perspektive für alle
Beteiligten.
II.
Die Energiewirtschaft selbst und die mit ihr direkt und
indirekt verbundenen Zuliefererbranchen sind ein wichtiger Wirtschafts- und
Beschäftigungsfaktor. Das ist jedoch nicht alles.
Eine zuverlässige und stabile Energieversorgung ist auch
für Nordrhein-Westfalen insgesamt von existentieller Bedeutung. Unsere
heimische Wirtschaft ist wie in kaum einem anderen Bundesland auf eine sichere
und bezahlbare Energieversorgung angewiesen. Nur so kann sich
Nordrhein-Westfalen als Industriestandort weiterentwickeln und Wertschöpfung
und hunderttausende hochwertige Arbeitsplätze erhalten. Allein die Unternehmen
in den weitgehend energieintensiven Branchen Papier, Glas, Chemie, Kunststoff,
Mineralöl und Metallerzeugung beschäftigen in Nordrhein-Westfalen mehr als eine
viertel Million Menschen. Das sind sehr gute Arbeitsplätze mit ordentlichen
Tarifverträgen und Einkommen für die Menschen. Hinzu kommen zahlreiche
Arbeitsplätze bei Zulieferern im Investitionsgüterbereich wie dem Maschinenbau
und bei unternehmensnahen Dienstleistern wie Güterverkehr, IT, Leasing oder
Forschung und Entwicklung, die auch in Nordrhein-Westfalen vielfach ohne die
energieintensive Industrie nicht denkbar wären. Um diese wirtschaftliche Kraft
zu erhalten, benötigen wir auch in Zukunft eine leistungsstarke und
hochinnovative Energieerzeugung.
Wie lange die Kohleverstromung noch als Brücke benötigt
wird, darüber berät derzeit die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und
Beschäftigung“. Diese Ergebnisse wollen wir abwarten. Die Landesregierung steht
in diesem Prozess dafür ein, die Klimaziele nicht gegen die Wirtschaft
auszuspielen. Wir können und wollen die Klimaziele nur zusammen mit einer
starken und modernen Wirtschaft erreichen und nicht auf Kosten einer Deindustrialisierung
unseres Landes.
III.
Vor welchen energiewirtschaftlichen Herausforderungen uns
die Energiewende stellt, zeigt u.a. ein Blick in die „Quartalsberichte zu Netz-
und Sicherungsmaßnahmen“ der Bundesnetzagentur. Im Jahr 2012 waren
Redispatchmaßnahmen im deutschen Übertragungsnetz in einem Umfang von 4.956 GWh
erforderlich, um die Netzstabilität zu gewährleisten. Im Jahr 2017 waren
bereits Redispatchmaßnahmen in Höhe von 20.439 GWh nötig. Dies bedeutet eine
Vervierfachung des Eingriffsvolumens innerhalb von fünf Jahren. Hinzu kamen in
2017 Maßnahmen zur Abregelung erneuerbarer Energieträger
(Einspeisemanagement-Maßnahmen) im Umfang von 5.518 GWh.
Die
Kosten des Redispatch- und Einspeisemanagement beliefen sich in 2017 auf ca.
1,4 Mrd. EUR gegenüber rund 880 Mio. EUR in 2016. Es wird davon ausgegangen,
dass die Kosten für Netzeingriffe bis 2025 auf 4 Mrd. EUR pro Jahr ansteigen
werden. Insbesondere nach 2023 werden durch den wachsenden Einsatz Erneuerbarer
Energien und die Abschaltung von Kernkraft- und konventionellen Kraftwerken
erheblich mehr Netzeingriffe erforderlich.
Die Zunahme netzstabilisierender Maßnahmen verdeutlicht,
dass die Zuverlässigkeit unseres Energiesystems zunehmend auf die Probe
gestellt wird. Veränderungen im Verhältnis von erneuerbaren zu konventionellen
Erzeugungskapazitäten führen dazu, dass sich auch das Verhältnis volatiler
Kapazitäten (aus erneuerbaren Energie) zu grundlastfähigen Kapazitäten (aus
konventioneller Energieerzeugung) verändert.
Da weder der Netzausbau noch die Entwicklung
leistungsfähiger Speichertechnologien mit dieser Entwicklung Schritt halten,
hat diese Verschiebung massive Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit.
Verschärfen wird sich diese Situation in den kommenden Jahren durch den
beschlossenen Kernenergieausstieg, mit dem bis Ende 2022 weitere rund 10
Gigawatt gesicherte Kraftwerksleistung nicht mehr zur Verfügung stehen.
Über Jahrzehnte haben wir die Netzstabilität als gegeben
ansehen können. Netzstabilität ist und bleibt ein unerlässlicher Faktor für den
dauerhaften Erfolg unseres Wirtschaftsstandortes. Diesen Standortfaktor dürfen
wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen:
Die
Digitalisierung liefert uns einerseits neue Antworten zur Lösung dieser
Flexibilitätsanforderungen, andererseits werden die Ansprüche an die
Versorgungssicherheit und Netzstabilität durch die Digitalisierung erheblich
steigen.
Es
wäre fahrlässig, eine Reduzierung des Niveaus der Versorgungssicherheit
hinzunehmen und gleichzeitig über die Weiterentwicklung von Digitalisierung,
Industrie 4.0, das Internet der Dinge, vernetzte Mobilität oder
Cyber-Sicherheit zu sprechen. Deutschland kann nicht digital werden wollen,
aber gleichzeitig seine Stromversorgung schwächen.
IV.
Um Kohlekraftwerke schneller vom Netz nehmen zu können wird
gerne angeführt, dass Deutschland genügend Strom produziere und sogar
exportiere. Verschwiegen wird hingegen, dass zwar die Bruttostromleistung aus
Windenergie und Photovoltaik für einen Stromüberschuss sorgen, dieser Strom
beim deutschen Verbraucher aber nicht verlässlich ankommt. Erstens wegen
Wetterabhängigkeit, zweitens wegen fehlender Übertragungsnetze. Die
Erneuerbaren Energien (inkl. Biomasse und Wasserkraft) tragen damit nach wie
vor einen mit etwa 10 Prozent geringen Anteil zur gesicherten Leistung bei.
Je nach Ausstiegsszenario aus der Kohleverstromung würde
Deutschland als größtes Industrieland Europas zum Stromimporteur. Ihre Rolle
als dann einzige Netto-Stromexporteure in Europa würden ausbauen: Polen und
Frankreich. Das eine Land produziert 90 Prozent seines Stroms aus Kohle, das
andere Land 75 Prozent seines Stroms aus Atomkraft. Wir würden in Deutschland
nicht nur Atomkraft, sondern auch Kohle aufgeben, um beides in den
Nachbarländern in schlechterer Qualität für Sicherheit und Umwelt zu fördern
und dafür auch noch teuer zu bezahlen.
V.
Wir können und wollen die Energiewende positiv und
zukunftsgerichtet gestalten. Dazu müssen wir die Energiewende vom Kopf auf die
Füße stellen und sie mit einem verlässlichen Plan unterlegen, wie wir bis wann
aus den konventionellen Energien aussteigen können.
Dieser Ausstieg ist aus Klimaschutzgründen und wegen der
Endlichkeit der Ressourcen unzweifelhaft notwendig, aber er muss bezahlbar sein
und darf die Versorgungssicherheit nicht in Frage stellen. Entscheidend ist
dabei die Verbindung zum Emissionshandel, denn nur wenn es zu einer
Zertifikatestilllegung parallel zum Abschalten emissionshandels-pflichtiger
Anlagen kommt, werden auch tatsächlich Emissionen eingespart, alles andere wäre
auch hier reine Augenwischerei.
Für eine Neujustierung der Energiewende benötigen wir ein
ganzes Maßnahmenbündel, dass die derzeit losen Enden der Energiewende sinnvoll
zusammenführt. Hierzu erarbeitet die Landesregierung derzeit, gemeinsam mit
Industrie, Energiewirtschaft, Verbänden und Gewerkschaften eine Energieversorgungsstrategie. Aus Sicht
der Landesregierung müssen u.a. die folgenden wichtigen Aspekte berücksichtigt
werden:
- Schnellerer
Ausbau der Strom- und Gasnetze für den Transport des Ökostroms zum Verbraucher
und Synchronisation mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien – dies reduziert
auch die stark gestiegenen Kosten.
- Erhalt
der Versorgungssicherheit durch eine Verlagerung der Energieerzeugung auf
Gaskraftwerke, die u.a. auf bestehenden Kohlekraftwerksstandorten in
Nordrhein-Westfalen entstehen und die längerfristig auf synthetisches Gas aus
erneuerbaren Quellen umgestellt werden können.
- Stärkere
Anreize für eine Sektorenkopplung und Belegung der Sektoren, die nicht dem
EU-weiten Emissionshandel unterliegen, mit einem CO2-Preis, der
Teile der bisherigen Steuern und Abgaben ablöst.
- Die
Förderung dezentraler urbaner Energielösungen aus Photovoltaik, Geothermie, KWK
und Elektromobilität; hier hat Nordrhein-Westfalen aufgrund seiner
Siedlungsstruktur große Potentiale.
- Schaffung
von angemessenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für gesicherte Leistung und
Förderung einer marktorientierten Flexibilisierung bei Angebot und Nachfrage.
- Reduzierung
von Steuern und Abgaben auf Strom und die anteilige Finanzierung der EEG-Umlage
aus dem Bundeshaushalt, nicht zuletzt für eine sozial gerechtere
Kostenverteilung.
Diese wichtigen Maßnahmen sind entscheidende
Voraussetzungen für eine schnellere Reduzierung der Kohleverstromung und
könnten das Fundament für einen Neustart der Energiewende bilden, der
Deutschland wieder zu einem Vorbild in der Welt werden lässt. Das waren wir
einmal. Inzwischen schaut das Ausland kopfschüttelnd auf die Ineffizienz der
deutschen Energiepolitik. Das müssen wir ändern.
Die rot-grüne Vorgängerregierung hat den Ausstieg aus der
Braunkohle für die Zeit nach 2045 vorgesehen. Das ginge schneller – aber nur,
wenn die zuvor beschriebenen Maßnahmen zur Neujustierung der Energiewende
schneller und verlässlich umgesetzt und die Frage des Strukturwandels in der
Region konkret und nachhaltig beantwortet wird.
Nur wenn Deutschland es schafft, die Energiewende so
weiterzuentwickeln, dass sie den Wohlstand sichert und der Umwelt dient, wird
es dafür auch weltweit Nachahmer geben.
Zu diesen Aufgaben gehört die Förderung der Transformation
in der Industrie, die Forschung und Entwicklung und der in die Zukunft
gerichtete Strukturwandel in den Regionen. Die Landesregierung arbeitet daran,
diese Voraussetzungen zu schaffen und setzt gezielte Maßnahmen und Initiativen
um.
Der Schlüssel dafür sind Innovation und Investitionen, für
beides schaffen wir in Nordrhein-Westfalen wieder bessere Rahmenbedingungen,
etwa indem wir die Zeiten für die Genehmigung modernerer und
klimafreundlicherer industrieller Anlagen halbieren.
VI.
Die Menschen in Nordrhein-Westfalen sind bereit, den Weg
der Energiewende mitzugehen. Diese Akzeptanz gilt es zu erhalten.
Der aktuelle Bericht des Bundesrechnungshofes belegt, was
jeder Bundesbürger leistet, um den Atomstrom und konventionelle Energieträger
durch Erneuerbare Energien zu ersetzen. 160 Milliarden Euro hat die
Energiewende bislang gekostet, einen Großteil haben die Verbraucher direkt
bezahlt. Allein im vergangenen Jahr waren es 24 Milliarden Euro über die
EEG-Umlage, hinzu kamen weitere Umlagen über den Strompreis.
Im Ergebnis attestiert der Bundesrechnungshof der
Energiewende aber, dass zwei der drei Grundpfeiler einer verantwortungsvollen
Energiepolitik brüchig sind: Bezahlbarkeit und Klimaschutz. Einerseits hat
Deutschland mit die höchsten Strompreise weltweit, was zunehmend zu einer
sozialen Frage wird. Gerade die einkommensschwachen Haushalte und der Mittelstand
leiden am meisten unter der Verteuerung. Andererseits verbessert sich die CO2-Bilanz
bei weitem nicht so stark wie eigentlich notwendig. Doch damit nicht genug. Mit
der Forderung nach einem übereilten Kohleausstieg gerät nun auch der dritte
Grundpfeiler einer klugen Energiepolitik ins Wanken: die Versorgungssicherheit.
In seinem Bericht vom 28. September 2018 stellt der
Bundesrechnungshof fest: „Trotz des erheblichen
Einsatzes von Personal und Finanzmitteln erreicht Deutschland die Ziele bei der
Umsetzung der Energiewende bisher überwiegend nicht.“
Und weiter heißt es:
„Aus Sicht des Bundesrechnungshofes sind entscheidende Verbesserungen bei
der Koordination und Steuerung der Energiewende unumgänglich. Die
Bundesregierung bleibt zum Handeln aufgefordert. Anderenfalls könnte in der
deutschen und der internationalen Öffentlichkeit der Eindruck entstehen,
Deutschland sei nicht imstande, die gesamtgesellschaftlich und langfristig
angelegte Energiewende erfolgreich zu gestalten und umzusetzen.“
VII.
In den vergangenen Monaten ist immer wieder die Leitentscheidung
der rot-grünen Landesregierung zur Zukunft des Rheinischen Reviers aus dem Jahr
2016 angesprochen worden. Man muss anerkennen, dass die gerade einmal zwei
Jahre zurückliegende Leitentscheidung von einem energiewirtschaftlichen
Realismus geprägt war.
Die von SPD und Bündnis90/Die Grünen beschlossene
Leitentscheidung vom 5. Juli 2016 basierte auf der Bedeutung der
Braunkohleverstromung für Versorgungssicherheit und Preisstabilität und
berücksichtigt bereits den zukünftigen Rückgang der Braunkohleverstromung. Die
damalige Landesregierung hat in der Leitentscheidung zur Verkleinerung des
Tagebaus Garzweiler II u.a. festgestellt, dass, ich zitiere „der
Braunkohlenabbau in den Tagebauen Garzweiler II, Hambach und Inden in
Nordrhein-Westfalen bleibe zur langfristigen Energieversorgung weiter
erforderlich ist.“
Im Rahmen der Erarbeitung der Leitentscheidung hat die
Landesregierung ein Online-Beteiligungsverfahren durchgeführt. In diesem
Verfahren ist bereits eine Schonung des Hambacher Forstes thematisiert worden.
In der Abwägung hat sich die von den Grünen mitgetragene Landesregierung aber
gegen diese Anregung entschieden: Der zurückgehende Bedarf an Braunkohle könne
genutzt werden, um auf eine sonst noch notwendige Umsiedlung von Menschen zu
verzichten. Dieses sei der schwerste mit dem Braunkohleabbau verbundene
Eingriff. Der mit der damaligen Leitentscheidung ausdrücklich bestätigte Bedarf
für Braunkohleabbau auch nach 2030 mache aber den Tagebau Hambach, in dem keine
weiteren Umsiedlungen mehr erforderlich werden, in seinen unveränderten
Abbaugrenzen erforderlich.
Mit Blick auf die Leitentscheidung der rot-grünen
Landesregierung ist anzumerken, dass sie im selben Jahr erfolgte, in dem das
Pariser Klimaabkommen geschlossen und der Bund mit dem Land eine Herausnahme
von fünf Kohlekraftwerksblöcken vereinbarte, da die Bedrohung der nationalen
Klimaziele für 2020 schon zu diesem Zeitpunkt vollumfänglich bekannt war.
VIII.
Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten eine
Vermischung von Sachverhalten aus politischem Kalkül erlebt, die nicht
miteinander vermischt werden dürfen. Während die WSB-Kommission über die
mittel- bis langfristige Ausrichtung der Energieversorgung berät, geht es bei
den Diskussionen um den Hambacher Forst um den Vollzug von bestehenden
Abbaugenehmigungen auf der Grundlage der eben zitierten Leitentscheidung.
Hierzu hat das Oberverwaltungsgericht in der Hauptsache
bisher nicht entschieden, sondern sich für die Entscheidung mehr Zeit erbeten.
Diese Entscheidung respektieren wir selbstverständlich.
Gleichzeitig erwarten wir, dass die Demonstranten den
Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 14. September 2018 zur Vollziehung
der Räumungsanordnung der Baumhäuser respektieren und angesichts der im
Beschluss bestätigten „Gefahren für die
Bewohner der Baumhäuser unter Gesichtspunkten des Brandschutzes und einer
mangelnden Sicherung vor Stürzen in die Tiefe“ eine erneute Errichtung von
Baumhäusern unterlassen.
Wir werden Rechtsbrüche auch künftig nicht akzeptieren,
können den Ordnungsbehörden und Einsatzkräften aber auch nicht fortlaufend
zumuten, die Bewohner der Baumhäuser vor sich selbst und das als besonders
schutzwürdig vom BUND angemeldete Gebiet vor den Aktivisten zu schützen.
Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen und den
Rettungskräften, den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten für ihren
anspruchsvollen und besonnenen Einsatz im Zuge der Räumungsmaßnahmen zu danken.
IX.
Die Klimaschutzdebatte hat sich zuletzt sehr stark auf die
Frage der Stromerzeugung verengt. Manchmal auch, weil die Energieerzeuger als
bequemes Feindbild ausgemacht wurden. Diese Verengung verstellt jedoch den
Blick auf einen breit angelegten und effizienten Klimaschutz.
Auch andere Sektoren müssen und können ihren Beitrag zur
Erreichung der Klimaziele erbringen. Um etwa das Ziel einer
treibhausgasneutralen Industrie zu erreichen, brauchen wir Forschung und
Innovationen und deren wirtschaftliche Umsetzung in den Unternehmen. Diesen in
unseren Augen zwingend notwendigen Transformationsprozess anzureizen und zu
unterstützen, ist Ziel einer neuen Initiative, die ich vor wenigen Wochen
vorgestellt habe und für den wir auf der jüngsten World Climate Conference in
San Francisco viel Zuspruch gefunden haben:
Unter dem Namen IN4climate.NRW
werden künftig Expertinnen und Experten aus Industrie, Wissenschaft und
Verwaltung Strategien erarbeiten, wie die Industrie in Nordrhein-Westfalen ihre
Wettbewerbsfähigkeit erhalten, zusätzliches Wachstum erzeugen und zur
Erreichung der Pariser Klimaschutzziele beitragen kann.
Um das Pariser Übereinkommen zum Klimaschutz sowie die
weitere Reduktion von Treibhausgasen umzusetzen und gleichzeitig die
Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu stärken werden wir noch dieses Jahr eine
Energieforschungsoffensive NRW auflegen. Gemeinsam mit Wissenschaft und
Wirtschaft wollen wir das Energieland Nordrhein-Westfalen zu einem
international führenden Forschungsstandort ausbauen. Die Landesregierung stellt
die nötigen Mittel bereit, um mit Forschung und Innovation einerseits
wissenschaftliche Erkenntnisse und Ideen technologisch umzusetzen und
andererseits gesellschaftliche Herausforderungen zu lösen. Unter dem Dach der
Energieforschungsoffensive sollen die geförderten Projekte national wie
international Akzente für die Energieforschung made in NRW setzen.
Ziel ist es, Nordrhein-Westfalen bis spätestens 2030 zum
innovativsten, leistungsstärksten und klimafreundlichsten Industriestandort
weltweit zu machen!
X.
Die Kommission
„Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ ist u.a. mit dem Ziel eingesetzt
worden, einen Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der
Kohleverstromung, einschließlich eines Abschlussdatums vorzulegen.
Die
Kommission hat hierzu aber auch den Auftrag zur Schaffung einer konkreten
Perspektive für neue, zukunftssichere Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen
im Zusammenwirken zwischen Bund, Ländern, Kommunen und wirtschaftlichen
Akteuren.
In den letzten Monaten haben wir in enger Abstimmung mit
den regionalen Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik ein
umfassendes Programm zur Entwicklung neuer Perspektiven für das Rheinische
Revier entwickelt und der WSB-Kommission vorgelegt. Darüber hinaus haben wir
eine Prioritätenliste für das Starter- und Langfristprogramm abgestimmt, das
wir am Freitag [12. Oktober 2018] mit der WSB-Kommission besprechen.
An die traditionsreichen Stärken der Energiewirtschaft in
unserem Land anzuknüpfen ist unsere größte Chance, damit wir auch an den neuen
wachsenden Geschäftsfeldern in einem sich wandelnden Energiesystem teilhaben.
Die bestehenden Kraftwerke in Verbindung mit den
energieintensiven Unternehmen bilden gemeinsam mit unseren
Innovationskompetenzen die hohe Lagegunst des Rheinlands für das Erzeugen von
Produkten, die wir nach der Energiewende mehr denn je brauchen: Ich spreche von
dem Produkt „Versorgungssicherheit“, das neu konzipiert werden muss.
Denn es wird anspruchsvoller, kontinuierlich und
zuverlässig Energie bereitzustellen. Wir setzen uns daher in Berlin u.a. dafür
ein, dass als eines unserer Leitprojekte, das Reallabor
„Wärmespeicher-Kraftwerk StoreToPower“ eingerichtet wird: Das
Wärmespeicher-Kraftwerk soll an einem ehemaligen Kraftwerksstandort als
Reallabor geschaffen werden. Dabei handelt es sich um einen
Flüssigsalz-Wärmespeicher, der bis zu ein Gigawatt Wärme speichern soll. Er ist
schwarzstartfähig und kann in einer sog. Dunkelflaute als Back-up-Kraftwerk
dienen. Mit einem Gesamt-Systemwirkungsgrad von ca. 40 Prozent kommt das Speicher-Kraftwerk
einem modernen Braunkohle-Kraftwerk mit einem Wirkungsgrad von 44 Prozent nahe.
Durch die Entwicklung von Hochtemperatur-Wärmepumpen wären in Zukunft sogar
Gesamt-Wirkungsgrade von bis zu 70 Prozent möglich.
Deswegen werden wir uns als weiteres Leitprojekt um die Ansiedlung
eines DLR-Instituts für Hochtemperatur-Wärmepumpenbemühen: Die Hochtemperatur-Wärmepumpen werden zur Verbesserung
des Wirkungsgrads für die Weiterentwicklung der Wärmespeicher-Kraftwerke
benötigt. Darüber hinaus wird diese Technologie auch für die
Wärmebereitstellung für die Industrie der Region und darüber hinaus gebraucht
und ermöglicht die Befüllung von Fernwärmenetzen. Die RWTH Aachen verfügt mit
dem Institut für Kraftwerkstechnik, Dampf- und Gasturbinen zudem über
ausgewiesene Expertise in diesem Thema.
Neue Chancen brächte dem Rheinischen Revier auch die Ansiedlung
einer Batteriezellproduktion: Wir bemühen uns um die Errichtung einer
4 GWh Produktionsanlage im Rheinland im Rahmen der European Battery Alliance. In
einem zweiten Schritt soll eine large-scale-factory z.B. im Green Battery Park
in Euskirchen aufgebaut werden. Ziel ist die Sicherung von Entwicklungs- und
Produktions-Know how, die Unabhängigkeit von asiatischen Zell-Produzenten und
die Versorgung kleiner und mittelständischer wie auch großer Abnehmer.
Vor dem Hintergrund des anstehenden Strukturwandels gewinnt
der räumliche Transformationsprozess zusätzlich an Bedeutung. Hierzu planen wie
eine internationale Bau- und Technologieausstellung Rheinisches Zukunftsrevier,
die die Neuordnung des Raumes, die Weiterentwicklung ihrer Siedlungen als Orte
der Zukunft in einem Mobilitätsrevier der Zukunft mit dem Anspruch verknüpft,
wegweisende Schritte in eine innovative und klimafreundliche Zukunft mit hoher
Lebensqualität zu gehen.
Um diese und andere Projekte – wie etwa die Errichtung
eines Campus Rhein-Erft der TH Köln zu fachlichen Schwerpunkten der
Transformation – zu realisieren, soll das Rheinische Revier als Sondergebiet
ausgewiesen werden, um optimierte Flächenausweisungen und schnelle
Genehmigungsverfahren zu realisieren und die notwendigen
Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen schnell umsetzen zu können.
XI.
Wir stehen vor großen Herausforderungen in den kommenden
Monaten und Jahren. Die Neujustierung der Energiewende aber auch die
strukturpolitische Entwicklung der von der Reduzierung der Kohleverstromung
betroffenen Regionen. Hier benötigen wir keine Symbolpolitik, sondern
vernunftgeleitetes nachhaltiges Handeln.
Wir benötigen sachliche Debatten. Wir benötigen
realistische aber mutige Lösungsansätze, die das immense innovative Potential
unserer Unternehmen, unserer Hochschulen und Forschungseinrichtungen und
insbesondere der Menschen in Nordrhein-Westfalen aufnehmen.
Dies sind wir den betroffenen Menschen in den Regionen
schuldig.
Emotionen können helfen, einen Politikwechsel einzuleiten.
Sie allein machen ihn aber noch nicht erfolgreich. Es ist das große Risiko
einer Politik, die sich vom Pathos großer Emotionen tragen lässt: Löst sie ihre
Versprechen nicht ein, ist die Enttäuschung derart groß, dass das emotionale
Pendel heftig zur anderen Richtung ausschlägt. Es wäre ein Desaster für den
Klimaschutz.
Die Energiewende braucht Erfolg.
Dringend!